Kapitel 1 – Hinterhalt der Hinterwäldler
Leon Scott Kennedy stand, den Rücken eng an einen Baum gepresst und die Waffe gezogen, in einem spanischen Wald. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte, und eine Schrotladung schlug in einen Baum neben dem, der Leon als Deckung diente, ein. Wie konnte er nur in so ein tiefes Schlamassel geraten? Nun, eigentlich ist es ganz einfach zu erklären: Die Tochter des Präsidenten, Ashley Graham, ist vor knapp einer Woche entführt worden, und Leon wurde – neben unzähligen anderen Agenten der US Regierung – ausgesandt, um sie zu finden. Doch nur Leon wurde das spanische Dorf „Pueblo“ zur Überprüfung zugeteilt.
Und seitdem er seinen Fuß zum ersten Mal in diesen verfluchten Wald gesetzt hatte, ging einfach alles schief. Die zwei spanischen Polizisten, die ihn nach Pueblo bringen sollten, waren komplette Vollidioten gewesen. Während der gesamten Fahrt hatten sie den frischgebackenen US Agenten mit Amifeindlichem Gelaber vollgequatscht. Nach diesem schier endlosen Ritt in einem völlig heruntergekommen, versifften Streifenwagen, der im Wald ganze vier Mal schlapp gemacht hatte, kam endlich das erste Haus in Sicht. Aber die feinen Herren Spaniokelbullen machten nur einen flachen Witz von wegen Knöllchen und ließen Leon die Befragung alleine durchführen. Wie die Regierung es versprochen hatte – „die einheimischen Einheiten werden eine große Hilfe sein“.
Wie gesagt, Leon betrat besagtes Haus also im Alleingang – um kurz darauf vom Bewohner mit einer Axt attackiert zu werden. Er konnte sich nicht erklären, warum dieser Hinterwäldler nicht einfach seine Fragen beantwortet hatte – Leon hatte sich sogar schon ein Bisschen Spanisch angeeignet! Nach der Axtattacke hatte er wirklich alles versucht, um den aufgebrachten Mann wieder zu beruhigen, aber er war wie besessen. Als letzterer dann kurz davor war, einen weiteren Hieb mit der Axt zu vollführen, musste Leon ihn erschießen. Er hatte im zunächst eine Kugel in’s Bein gejagt – das 9mm Geschoss zeigte aber quasi Null Wirkung. Es stachelte den Mann eher noch mehr an, sich ein schönes, saftiges Leonsteak zusammen zu metzgern. Also folgte eine zweite Kugel - diesmal in den Brustkorb. Der Bauer brach zusammen und hustete Unmengen an Blut aus. Leon musste Glück gehabt und ein wichtiges, inneres Organ getroffen haben, denn innerhalb von dreißig Sekunden war der Angreifer innerlich verblutet. Während seinem Ableben murmelte er in seinem blanken Wahnsinn etwas, das wie „Lorsattla“ klang.
Noch bevor Leon von der Tatsache, einen Menschen erschossen zu haben, übel werden konnte, hatte er Schüsse und Schreie von draußen gehört. Ein hastiger Blick aus dem Fenster zeigte, dass die beiden „Polizisten“, wenn sie sich so nennen durften, überwältigt und vielleicht angeschossen worden waren. Als Leon die Eingangstür erreichte, waren die beiden bereits bewusstlos geprügelt worden und wurden gerade weggetragen.
Inzwischen hatten jedoch drei weitere Bauern den Eindringling bemerkt, und das Feuer auf Leon eröffnet – zum Glück hatte dieser sich noch hinter einen Baum abrollen können.
Tja, das war die Vorgeschichte. Wieder ein Knall, und eine weitere Schrotladung kam Leon – diesmal traf sie „seinen“ Baum – entgegengeflogen. Aus dem Augenwinkel heraus hatte Leon bei seinem Blick aus dem Fenster gesehen, dass die drei ankommenden Bauern „nur“ mit einer Mistgabel, einer Axt und einer doppelläufigen Flinte bewaffnet waren – folglich eine Kapazität von zwei Schrotpatronen.
Als Leon dann noch hörte, wie die Läufe der Flinte für den Nachladeprozess nach vorne schnappten, fühlte er sich bestätigt und wagte einen Blick – der Bauer kramte tatsächlich gerade zwei Schrotpatronen aus einer Tasche!
„Einmal kann man es noch versuchen...“, dachte Leon und hoffte inständig, dass es klappen würde. Er lehnte sich nun, die HK USP im Anschlag, hinter dem Baum hervor und rief den Bauern zu: „Policia! Drop your weapons, now!!“
Der Bauer mit der Flinte lud unbeeindruckt weiter nach, doch der Mann mit der Axt brüllte etwas zurück – und warf sein Schneidwerkzeug nach Leon. Glücklicherweise blieb sie in Leon’s „Deckungsbaum“ stecken. Plötzlich verschwand jeder Wille, die Sache deeskalierend anzugehen, und Leon feuerte eine Kugel auf den Axtwerfer ab. Ob er getroffen hatte, konnte er nicht erkennen, denn er musste sich schon wieder in den vollkommenen Schutz des Baumes begeben – der Flintenschütze war fertig mit dem Nachgeladen.
Und zum dritten Mal krachte Leon eine Schrotladung entgegen. Er erwiderte das Feuer blind, indem er den Lauf seiner USP hinter dem Baum hervorstreckte und zwei Schüsse abgab. Er glaubte zwar nicht, getroffen zu haben, aber vielleicht würden die Bauern ihm nun etwas Ruhe lassen. Generell schien den Angreifern nicht viel an ihrem Gesundheitszustand zu liegen, denn sie standen wie Zielscheiben auf dem offenen Feldweg herum – und nicht, wie Leon, in Deckung.
Der vierte Flintenschuss ertönte, und da kam Leon eine banal grandiose Idee – Hilfe holen! Das neue super-duper-mega-hightech Bildübertragungsfunkgerät hatte Leon auf der Rücksitzbank des Streifenwagens liegengelassen.
„Was bist du doch für ein Vollidiot, Kennedy, nicht damit zu rechnen, dass du in einen Hinterhalt von spanischen Landwirten gerätst! Wie unumsichtig!“, dachte Leon sarkastisch und wagte es – die Flinte musste wieder leergeschossen sein. Er hechtete hinter dem Baum hervor, immer auf den Streifenwagen zu und schoss blind zur Seite.
Nur Sekunden später kniete er schließlich hinter dem Streifenwagen. Eine fünfte Schrotladung zerfetzte die Windschutzscheibe des Polizeifahrzeuges und ließ Leon noch tiefer zusammensacken.
„Feuer erwidern, mach‘ schon! Bring‘ die Schweine um, bevor sie DICH umbringen!“, drängte ihn eine innere Stimme, aber Leon hatte gerade eine tolle Idee bekommen…
„Nachsehen kann nicht schaden…“, flüsterte er dann zu sich selbst und ließ den Kofferraum des Streifenwagens, den er nun als Deckung benutzte, aufschnappen. Leon grinste breit, als er das Schönste, was er heute gesehen hatte, erblickte: Eine Remington 870, Modell „Wingmaster“, daneben zwei Schachteln Schrotpatronen und zwei ballistische Schutzwesten. „Wir werden noch viel Spaß zusammen haben…“, dachte Leon, während er die Flinte durchlud. Und die sechste Schrotladung erfasste das Polizeifahrzeug, einige Seitenscheiben zersprangen.
Der Bauer musste nun wieder nachladen, und Leon witterte seine Chance. Unsanft legte er die Remington auf dem Dach des Streifenwagens auf, nahm sein Ziel ins Visier und gab einen krachenden Schuss ab. Die Wirkung war nicht zu übersehen: Der Landwirt mit der Flinte wurde von der Schrotladung erfasst und zurückgeschleudert. In einer Blutlache blieb der zerfetzte Körper am Waldboden liegen.
Nun blieben noch zwei Bauern übrig: Einer unbewaffnet, einer mit einer Mistgabel. Triumphierend und mit der Flinte im Anschlag trat Leon hinter dem Streifenwagen hervor und ging langsam auf die Bauern zu.
„Policia!“
Die Angreifer schienen verstanden zu haben, dass sie keine Chance mehr hatten. Aber anstatt irgendwie kenntlich zu machen, dass sie sich ergeben, machten die Bauer bloß obszöne Gesten in Leon‘s Richtung. Der eine warf seine Mistgabel weg, und zusammen mit seinem Kumpanen rannte er vor Leon weg. Dieser war sich ganz und gar nicht sicher, ob er die beiden einfach ziehen lassen oder ihnen hinterher schießen sollte.
Da Leon nie ein großer Freund von vermeidlich unnötiger Gewalt gewesen war, entschied er sich getrost für die erste Variante und nahm das neue Funkgerät von der Rücksitzbank.
„Zentrale von Agent Kennedy, kommen.“
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